172.016
Liechtensteinisches Landesgesetzblatt
Jahrgang 2008 Nr. 205 ausgegeben am 28. Juli 2008
Gesetz
vom 29. Mai 2008
über die Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen (Informationsweiterverwendungsgesetz; IWG)
Dem nachstehenden vom Landtag gefassten Beschluss erteile Ich Meine Zustimmung:
I. Allgemeine Bestimmungen
Art. 1
Zweck
1) Ziel dieses Gesetzes ist die Erleichterung der Weiterverwendung von Dokumenten öffentlicher Stellen, insbesondere um dadurch die Erstellung neuer Informationsprodukte und -dienste zu fördern.
2) Dieses Gesetz dient der Umsetzung der Richtlinie 2003/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. November 2003 über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (EWR-Rechtssammlung: Anh. XI - 5k.01).
Art. 2
Geltungsbereich
1) Dieses Gesetz gilt für die kommerzielle und nichtkommerzielle Weiterverwendung von im Besitz öffentlicher Stellen befindlichen und in ihrem öffentlichen Auftrag erstellten Dokumenten, sofern sie diese zur Weiterverwendung bereitstellen.
2) Dieses Gesetz gilt nicht für Dokumente,
a) die aufgrund spezialgesetzlicher oder anderer verbindlicher Rechtsvorschriften nicht zugänglich sind;
b) die nur bei Nachweis eines besonderen Interesses zugänglich sind;
c) deren Erstellung nicht unter den öffentlichen Auftrag der betreffenden öffentlichen Stelle fällt;
d) die von Urheberrechten oder verwandten Schutzrechten Dritter oder von gewerblichen Schutzrechten erfasst werden;
e) die im Besitz des Liechtensteinischen Rundfunks sind und der Wahrnehmung des öffentlichen Auftrags dienen;
f) die im Besitz von Bildungs- und Forschungseinrichtungen sind;
g) die im Besitz kultureller Einrichtungen sind.
3) Die Bestimmungen zum Schutz personenbezogener Daten im Sinne des Datenschutzgesetzes, gesetzliche Verschwiegenheitspflichten und weitergehende Ansprüche aus anderen Rechtsvorschriften auf Weiterverwendung von Informationen öffentlicher Stellen bleiben unberührt.
Art. 3
Begriffsbestimmungen und Bezeichnungen
1) Im Sinne dieses Gesetzes gelten als:
a) "öffentliche Stellen":
1. Organe des Staates;
2. Organe der Gemeinden;
3. Organe der öffentlich-rechtlichen Anstalten und Stiftungen;
4. andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die überwiegend vom Staat, den Gemeinden oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert werden oder hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegen oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht, die vom Staat, den Gemeinden oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind;
5. Verbände, die sich überwiegend aus zwei oder mehreren öffentlichen Stellen nach Ziff. 1 bis 4 zusammensetzen.
b) "Dokument": jeder Inhalt, unabhängig von der Form des Datenträgers (auf Papier oder in elektronischer Form, Ton-, Bild- oder audiovisuelles Material) oder ein beliebiger Teil eines solchen Inhalts;
c) "Dokument, das sich im Besitz einer öffentlichen Stelle befindet": ein Dokument, das zur Weiterverwendung bereitzustellen die öffentliche Stelle berechtigt ist;
d) "Weiterverwendung": die Nutzung von Dokumenten, die im Besitz öffentlicher Stellen sind, durch Rechtsträger für kommerzielle und nichtkommerzielle Zwecke, die sich vom ursprünglichen Zweck des öffentlichen Auftrags, in dessen Rahmen die Dokumente erstellt wurden, unterscheiden. Der Austausch von Dokumenten zwischen öffentlichen Stellen ausschliesslich im Rahmen der Erfüllung ihres öffentlichen Auftrages stellt keine Weiterverwendung dar.
2) Unter den in diesem Gesetz verwendeten Personenbezeichnungen sind Angehörige des weiblichen und männlichen Geschlechts zu verstehen.
II. Weiterverwendung von Dokumenten
Art. 4
Anforderungen an die Bearbeitung von Anträgen auf Weiterverwendung
1) Anträge auf Weiterverwendung von Dokumenten sind schriftlich bei der öffentlichen Stelle, in deren Besitz sich das beantragte Dokument befindet, zu stellen. Im Antrag sind Inhalt, Umfang sowie die Art und Weise der Weiterverwendung ausreichend darzulegen. Dies kann in jeder technischen Form geschehen, die die öffentliche Stelle zu empfangen in der Lage ist, unter dem Vorbehalt, dass die Authentizität und die Integrität der Absender garantiert ist.
2) Geht aus dem Antrag im Sinne des Abs. 1 der Inhalt, der Umfang und die Art und Weise der Weiterverwendung der beantragten Dokumente nicht ausreichend klar hervor, so hat die öffentliche Stelle den Antragsteller unverzüglich aufzufordern, den Antrag innerhalb einer zehn Arbeitstage nicht übersteigenden Frist schriftlich zu präzisieren. Kommt der Antragsteller der Aufforderung zur Präzisierung fristgerecht nach, beginnt die Frist nach Abs. 3 nach Eingang erneut zu laufen. Andernfalls gilt der Antrag als nicht eingebracht.
3) Die öffentliche Stelle hat den Antrag in der Frist, die für die Bearbeitung von Anträgen und Begehren auf Zugang zu Dokumenten nach den geltenden Zugangsregelungen einzuhalten ist, oder wenn keine solche Frist festgelegt ist, binnen 20 Arbeitstagen nach Eingang des Antrags zu bearbeiten und unter Hinweis auf den Rechtsschutz (Art. 12):
a) die beantragten Dokumente zur Gänze zur Weiterverwendung bereitzustellen;
b) die beantragten Dokumente teilweise zur Weiterverwendung bereitzustellen und dem Antragsteller schriftlich unter Angabe der Gründe mitzuteilen, dass seinem Antrag teilweise nicht entsprochen wird;
c) ein endgültiges Vertragsangebot zu unterbreiten, falls für die Weiterverwendung der beantragten Dokumente die Vereinbarung von Bedingungen nach Art. 7 Abs. 1 erforderlich ist; oder
d) dem Antragsteller schriftlich unter Angabe der Gründe mitzuteilen, dass seinem Antrag nicht entsprochen wird.
4) Stützt sich die ablehnende Mitteilung (Abs. 3 Bst. b und d) darauf, dass das beantragte Dokument geistiges Eigentum Dritter ist, so hat die öffentliche Stelle auch auf den ihr bekannten Inhaber der Rechte oder ersatzweise auf denjenigen zu verweisen, von dem sie das betreffende Material erhalten hat.
5) Bei umfangreichen und komplexen Anträgen kann die in Abs. 3 genannte Frist um 20 Arbeitstage verlängert werden. In diesem Fall ist der Antragsteller von der Verlängerung der Frist sobald wie möglich, spätestens jedoch innerhalb von 15 Arbeitstagen nach Eingang des Antrages, zu verständigen.
6) Für die Bearbeitung von Weiterverwendungsanträgen und die Bereitstellung der Dokumente zur Weiterverwendung haben sich die öffentlichen Stellen soweit möglich und sinnvoll elektronischer Mittel zu bedienen.
7) Die in Art. 2 Abs. 2 Bst. e bis g genannten öffentlichen Stellen müssen den Anforderungen an die Bearbeitung von Anträgen nach diesem Artikel nicht entsprechen.
Art. 5
Verfügbare Formate
1) Soweit öffentliche Stellen die Weiterverwendung der in ihrem Besitz befindlichen Dokumente genehmigen, haben sie diese in allen vorhandenen Formaten oder Sprachen - soweit möglich und sinnvoll - in elektronischer Form bereitzustellen. Öffentliche Stellen sind aufgrund dieses Gesetzes nicht verpflichtet, Dokumente im Hinblick auf deren Weiterverwendung neu zu erstellen, anzupassen oder weiterzuentwickeln.
2) Werden Auszüge aus Dokumenten beantragt, so müssen diese dann nicht bereitgestellt werden, wenn dies mit einem unverhältnismässigen Aufwand verbunden ist, der über eine einfache Handhabung hinausgeht.
3) Öffentliche Stellen sind aufgrund dieses Gesetzes nicht verpflichtet, die Erstellung von Dokumenten bestimmter Art im Hinblick auf die Weiterverwendung solcher Dokumente fortzusetzen.
Art. 6
Gebühren
Sofern öffentliche Stellen für die Weiterverwendung der in ihrem Besitz befindlichen Dokumente Gebühren einheben, dürfen diese die Kosten der Erstellung nicht übersteigen. Die Regierung legt die Gebühren für das Land im Bedarfsfall mittels Verordnung fest.
Art. 7
Bedingungen für die Weiterverwendung
1) Öffentliche Stellen können Bedingungen für die Weiterverwendung der in ihrem Besitz befindlichen Dokumente in einem Vertrag festlegen, in welchem die wesentlichen Fragen der Weiterverwendung geregelt werden.
2) Die Bedingungen nach Abs. 1 dürfen die Möglichkeiten der Weiterverwendung der beantragten Dokumente nicht unnötig einschränken und keine Behinderung des Wettbewerbs bewirken.
Art. 8
Transparenz
1) Die für die Weiterverwendung von Dokumenten geltenden Standardbedingungen und Standardgebühren sind von den öffentlichen Stellen im Voraus festzulegen und in geeigneter Weise - soweit möglich und sinnvoll im Internet - zu veröffentlichen.
2) Auf Anfrage haben die öffentlichen Stellen die Berechnungsgrundlage für die veröffentlichten Gebühren sowie die Faktoren anzugeben, die bei der Berechnung der Gebühren in atypischen Fällen berücksichtigt werden.
Art. 9
Praktische Vorkehrungen
Öffentliche Stellen haben praktische Vorkehrungen zur Erleichterung des Zuganges hinsichtlich jener Dokumente zu treffen, die zur Weiterverwendung verfügbar sind, indem sie insbesondere Listen und Verzeichnisse über die wichtigsten in ihrem Besitz befindlichen, einer Weiterverwendung zugänglichen Dokumente führen und diese in geeigneter Weise - nach Möglichkeit im Internet - veröffentlichen.
Art. 10
Nichtdiskriminierung
1) Die Gebühren und sonstigen Bedingungen für die Weiterverwendung von Dokumenten, die sich im Besitz von öffentlichen Stellen befinden, haben für vergleichbare Kategorien der Weiterverwendung nicht diskriminierend zu sein.
2) Werden Dokumente, die sich im Besitz öffentlicher Stellen befinden, von diesen als Ausgangsmaterial für eigene Geschäftstätigkeiten, die nicht unter ihren öffentlichen Auftrag fallen, weiterverwendet, so gelten für die Bereitstellung der Dokumente für diese Tätigkeiten dieselben Gebühren und sonstigen Bedingungen wie für andere Nutzer.
3) Sind im Besitz von öffentlichen Stellen befindliche Dokumente zur Weiterverwendung verfügbar, hat diese allen potenziellen Marktteilnehmern offen zu stehen, selbst wenn diese Dokumente bereits von einem oder mehreren Marktteilnehmern als Grundlage für Mehrwertprodukte genutzt werden.
Art. 11
Verbot von Ausschliesslichkeitsvereinbarungen
1) Verträge oder sonstige Vereinbarungen zwischen öffentlichen Stellen und Dritten, welche ausschliessliche Rechte hinsichtlich der Weiterverwendung der in den Geltungsbereich dieses Gesetzes fallenden Dokumente festlegen (Ausschliesslichkeitsvereinbarungen), sind unzulässig.
2) Abs. 1 gilt nicht, wenn für die Bereitstellung eines Dienstes im öffentlichen Interesse die Einräumung eines ausschliesslichen Rechtes erforderlich ist. Der Grund für eine solche Ausschliesslichkeitsvereinbarung ist regelmässig, mindestens jedoch alle drei Jahre, zu überprüfen. In die Ausschliesslichkeitsvereinbarung ist jedenfalls eine Bestimmung aufzunehmen, die der öffentlichen Stelle dann ein besonderes Kündigungsrecht sichert, wenn die regelmässige Überprüfung ergibt, dass der die Ausschliesslichkeitsvereinbarung rechtfertigende Grund nicht mehr vorliegt. Die nach dem 31. Dezember 2003 getroffenen Ausschliesslichkeitsvereinbarungen müssen transparent sein und sind in geeigneter Weise - nach Möglichkeit im Internet - öffentlich bekannt zu machen.
3) Bestehende Ausschliesslichkeitsvereinbarungen, die nicht unter die Ausnahmen von Abs. 2 Satz 1 fallen, enden mit Vertragsablauf bzw. gelten spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008 als aufgelöst.
III. Rechtsschutz
Art. 12
Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte
1) Ansprüche gemäss diesem Gesetz sind im ordentlichen streitigen Rechtsweg geltend zu machen.
2) Zur Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten, die die Weiterverwendung von Dokumenten öffentlicher Stellen nach diesem Gesetz betreffen, sind die ordentlichen Gerichte zuständig.
IV. Schlussbestimmung
Art. 13
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am Tage der Kundmachung in Kraft.

In Stellvertretung des Landesfürsten:

gez. Alois

Erbprinz

gez. Otmar Hasler

Fürstlicher Regierungschef